ZKM

Hans Hemmert


im Gespräch mit Thomas Thiel

Hans Hemmert (*1960 in Hollstadt), lebt und arbeitet in Berlin.

Thomas Thiel leitet den Bielefelder Kunstverein und war bis 2009 Kurator am ZKM.

E-mail-Interview, Februar 2008, Berlin / Karlsruhe

TT: Seit 1992 ist der Ballon - vorzugsweise aus gelbem Latex - Ihr wichtigstes künstlerisches Ausdrucksmittel. Auch bei Ihren neueren, “festen” Skulpturen aus Fiberglas scheint er die Abgussform vorzugeben. Wie und in welcher Situation beziehungsweise an welchem Punkt haben Sie den Ballon für sich entdeckt?

HH: Ich hatte als Student an der HdK Berlin, aus einem figürlichen Ansatz heraus, eigentlich “abstract steel-sculpture” – sozusagen in der Nachfolge von Anthony Caro – bei David Evison studiert. Das bedeutete, große, abstrakte Eisenskulpturen herzustellen, mit denen man dann anschließend hauptsächlich ein Gewichts- und Lagerproblem hatte. Meine Abschlussarbeiten des Studiums waren dann auch schon kleinere hohle, biomorphe Blech-Objekte mit Luftöffnungen, die etwas Körperhaftes hatten und ein Innen und Außen thematisierten, etc.
Aus diesem Bedürfnis heraus, nicht den Arbeitsraum mit Kunstwerken “zuzustellen”, habe ich dann nach dem Studium langsam angefangen, immer luftiger zu denken und dann 1991/92 mit allen möglichen aufblasbaren Delphinen und Bade-Enten und dann eben mit üblichen Luftballons zu arbeiten. Anfänglich noch in vor allem roter und transparenter Farbe und allen kaufbaren Größen. Danach habe ich begonnen, die Ballons selbst nach meinen Vorstellungen herzustellen…

TT: Etwa um das Jahr 2000 herum sind Sie selbst aus der Blase gestiegen. Es scheint, als sei damit eine Phase des Experimentierens am eigenen Körper abgeschlossen gewesen. Das Innere des Ballons spielt keine Rolle mehr, nur noch seine äußere Form. An den runden Formen oder den Bezug der Skulpturen zum Körper haben Sie festgehalten. Ich habe fast keine Skizze, Modell oder Installationsansicht entdeckt, die nicht in Bezug zu einem menschlichen Körper gesetzt wurde. Worin liegt ihr Interesse am Betrachter?

HH: Ja, der Bezug zum Körper und damit zum Betrachter ist für mich einfach immer da. Im Endeffekt geht es ja immer darum, was beim Rezipienten vor einer Arbeit stehend im Kopf passiert. Es geht ja bei Kunst eigentlich nur ums Denken…

TT: Im Einführungstext zu Ihrer Ausstellung in der Städtischen Galerie Nordhorn wird ein zeitgemäße Verbindung Ihrer Arbeiten zu Sloterdijks Blasenbegriff gezogen. Frühere Autoren verweisen auf Francesco della Piera, Brancusi oder Coop Himmelblau. Ich musste bei Ihren Arbeiten sofort an Hans Holleins mobiles Büro (1969) oder Piero Manzonis Corpo d’aria-Arbeiten (1959/60) denken. Während Hans Hollein sicherlich mehr an der Mobilität seiner Architektur interessiert war, ging es Manzoni um das Experimentieren mit Abwesenheit im Plastischen – Skulpturen, die im direkten Bezug zum menschlichen Körper stehen. Ob Sloterdijk oder Manzoni - welche Bezüge sehen Sie zu den genannten Ansätzen?

HH: Ja, mich interessiert auch vor allem der Gedanke der Abwesenheit in den Skulpturen. Im Moment der Ausstellung existiert ein richtiges Gegenüber, welches durch seine Größe und sein Volumen sogar eine körperlich beängstigende Dimension erlangt (ähnlich dem Mechanismus bei der Rezeption von Richard Serras riesigen Eisenplatten). Neben dieser starken Präsenz der Arbeit wird aber eben auch direkt die Möglichkeit mitgedacht, dass der Ballon ja jeden Moment platzen kann … und dann ist nichts mehr da. Es wird sozusagen eine kleine “Seinsfrage” gestellt; man könnte auch sagen, das Thema ist “die Angst vor dem Nichts”.

TT: Sie meinen das “Nichts” als Herausforderung, vielleicht auch im Sinne von John Cage? Eine Situation schaffen, in welcher der Betrachter sich selbst und den Bedingungen seiner Situation – vielleicht auch der Bedeutung von Zeit – bewusst wird?

HH: Ja, durchaus auch im Sinne von John Cages 4′33. Ich finde es gut, wenn es die Möglichkeit gibt, so eine existentielle Frage bei einem Museums- oder Galeriebesuch mitzudenken.
Das sind natürlich hohe Erwartungen, dass ein Betrachter so tief in sich hineinblickt beziehungsweise hinausfragt. Aber ich glaube, meine Ballonarbeiten können so eine Denkrichtung angeben. Ich selbst jedenfalls kann dadurch bei mir solche philosophischen Gedanken anstoßen.
Wann stellt man sich in unserer heutigen Gesellschaft denn schon noch solchen existentiellen Fragen? Natürlich schon bei Geburt, Tod, im Moment des Unfalls etc. …, aber den Kirchenraum, der dazu prädestiniert ist, benutzt ja heutzutage keiner mehr dafür. Am besten funktioniert es heute vielleicht noch in einem klassischen Konzert sitzend …

TT: Zahlreiche Künstler haben in letzter Zeit ebenfalls mit aufgeblasenen Objekten gearbeitet – Paul McCarthy ist vielleicht der prominenteste Vertreter. “Inflatable Sculptures” haben sich zu einem eigenen Genre der Skulptur entwickelt. Zuletzt habe ich einen aufblasbaren, industriell gefertigten Luft-Panzer (T 72) gesehen, den Michael Sailstorfer in China geordert hat, der sich immer wieder zur Skulptur aufbaut und dann wieder zusammenfällt. Aufgrund des Sujets lädt diese Arbeit zu einem Vergleich mit ihrer Arbeit German Panther ein. Wie stehen Sie der Verwendung von Inflatables in der Kunst gegenüber? Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten und wo Unterschiede zu Ihren Fragestellungen?

HH: Ein Inflatable ist ein Inflatable und hat damit eben diese Leichtigkeit, diese Ironie. Es ist eigentlich gar nicht richtig da …, eine delikate Art, etwas “durch die Blume” zu sagen; irgendwie smart …
Ja, das sind alles sehr gute Arbeiten, die Sie da nennen … der Panzer von Sailstorfer ist natürlich auch ein Knaller; er hat alles das – diese Leichtigkeit, diese Ironie, Humor …
Meine Arbeiten enstehen eigentlich aus einer Inhaltlichkeit heraus, das heißt bei den neueren Arbeiten Kapelle und German Panther interessiert mich die Befragung von Macht und Autorität, womit ich mich schon seit langem beschäftige. Wie Roland Nachtigäller schreibt: Die finstere Macht der Kirche und die brutale Autorität eines Panzers werden visuell thematisiert.
Bei den gelben Ballonarbeiten interessiert mich mehr der Gedanke an das Individuum selbst, der Gedanke an eine Innen- und Außenwelt der Wahrnehmung. Der Betrachter kann ganz persönliche Gedanken aus seiner Erfahrungswelt auf die gelbe Oberfläche projizieren.

TT: Ist es eine Leichtigkeit im Umgang mit dem Objekt – im metaphorischen wie direkten Sinne –, die Sie durch Verwendung bunter Ballons erzeugen möchten, um so den Blick des Betrachters zu öffnen?

HH: Ja, ich finde, die Arbeiten haben dadurch eine Art Lässigkeit, oder anders ausgedrückt: Sie fragen nach der Welt und beantworten oder behaupten nicht.

TT: Die Verwendung von Video hat sich bei Ihnen im Laufe der Jahre verändert. Zuallerst war es – ähnlich der Fotografie – ein Mittel der Dokumentation, das Ihnen die Möglichkeit gab, die Momente in der Blase festzuhalten und mit Musik zu kombinieren. Aktuell setzen Sie viele Zeichnungen in Videos um? In erster Linie arbeiten Sie mit den Mitteln eines Bildhauers; an welcher Stelle in Ihrem Arbeitsprozess erscheint es Ihnen heute sinnvoll, Video einzusetzen?

HH: Video ist ein tolles Werkzeug. Ich setze es ein, wenn ich denke, dass eine Idee mit klassischen bildnerischen Mitteln nicht so transportiert werden kann, wie ich es mir vorstelle. Ich kann durch Video viel einfacher auf Material aus den Medien zugreifen und mit in meine Arbeit einbauen. Es gibt einfach auch diese ganze Welt des “Audio”. Die bildende Kunst ist ja eigentlich “still”, was ja auch in der Regel eine große Qualität darstellt – und dennoch habe ich manchmal das Bedürfnis, den Ton und das bewegte Bild mitzunehmen, wie etwa bei meiner (lokale vokabulare) - Arbeit 2000 in Berlin.

TT: Können Sie genauer beschreiben, was Sie auf der Tonebene herauszuarbeiten versuchen?

HH: Ich meine einmal meine Arbeit (lokale vokabulare), die eben auf gesprochenem Text basiert – da ist der Ton natürlich essentiell. In den anderen Videos handelt es sich meist um Musik auf der Tonspur. Musik hat einfach eine wahnsinnige Kraft – auch für die bildliche Vorstellung.

TT: Ihre neueren Arbeiten drehen sich immer wieder um Konsumgüter, einen Warenfetisch, der durch die glatten, monochromen Oberflächen noch verstärkt wird. Daneben interessieren Sie sich für sakrale Orte und Gegenstände (Kirchen, Kreuze, Heiligenfiguren) sowie für religiöse Szenen. Welche Bedeutung hat diese Gegenüberstellung von Sakralem und Profanen für Sie? Welches Interesse haben Sie an den religiösen Symbolen an sich?

HH: Nun, ich bin zunächst einmal sehr religiös im barocken Franken aufgewachsen und war unter anderem bei den Benediktinern in einer Klosterschule. Das bildet natürlich einen Pool, aus dem ich immer wieder schöpfen kann beziehungsweise den ich immer wieder be- oder verarbeiten will. Mit dem Erwachsenwerden kam natürlich dann die Loslösung von so einem kindlichen Glauben, aber der Glaube bleibt schon ein interessantes menschliches Phänomen, zum Beispiel wenn man sagt: “Ich glaube, an nichts zu glauben”.
Und so kommt es, dass ich heute immer wieder unsere profane Welt einer möglichen heiligen gegenüberstelle, also zum Beispiel frage, ob nicht die Rapper und Hip-Hopper unsere Evangelisten sind – deswegen bekommt Riemenschneiders Evangelist Johannes einen JVC GhettoBlaster als Sitzbänkchen angeboten.
Der Konsum, das Shoppen sind ja bekannterweise (Norbert Bolz) unsere einzig wirklich funktionierende Religion geworden.

TT: Was glauben Sie, haben uns diese Rapper und Hip-Hopper zu sagen – in Hinsicht auf ihre Texte natürlich, aber auch als Figuren unserer Gesellschaft?

HH: Naja, … zu großen Einsichten verhelfen uns die Texte und Botschaften der Rapper und Hip-Hopper in der Regel ja auch nicht, aber ein Jan Delay ist schon gut. Die Botschaft richtet sich an das einzelne Individuum. Die Musiker sind selbstbewusste Typen, die ihre persönliche Sicht auf die Welt kundtun, den Leuten, die es hören wollen, sagen, wo’s lang geht: “I am the godfather of rap …”. Wie ja auch unser Jesus selbst (Joh 14,6): isch bin der Weg eih, die Wahrheit und das Leben eih, isch bin der Weinstock eih, und ihr seit die Reben …

TT: Pop als die moderne Form der Botschaft, die einzige, die noch gehört wird?

HH: Ja, bei den jungen Leuten ist das vielleicht so. Ich weiß noch, wie ich als junger Discogänger “the message”(s) von Grandmasterflash sozusagen “in mich aufgesogen habe”. Und wie gesagt … die andere Botschaft, die noch gehört wird, ist die Werbung, die Labels, der Konsum … die Gleichmacherei eben – die Hiphop-Botschaften sind da noch differenziert dagegen … don’t push me cause I’m close to the edge …

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Links:

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