Jürgen Klauke
im Gespräch mit Andreas F. Beitin
Jürgen Klauke, 1943 geboren, lebt und arbeitet seit 1968 in Köln.
Seit 1994 Professur an der Kunsthochschule für Medien, Köln
Andreas F. Beitin, 1968 in Uetersen geboren, leitet seit April 2010 das ZKM | Museum für Neue Kunst
Gespräch in Köln am 10.12.2009
Andreas Beitin (AB): Wie bist du auf die Idee der Serie Schlachtfelder gekommen und wie erfolgte dann die konkrete Realisierung?
Jürgen Klauke (JK): Die Idee ist schlicht und ergreifend aus einem gewissen Lustprinzip entstanden, mir das Geschehen in einem Schlachthaus einmal anzusehen. Zugang zu den Schlachthöfen verschaffte mir ein befreundeter Galerist, denn es ist gar nicht so einfach dort tatsächlich hinein zu kommen. Zunächst hatte ich gar nicht die Intention ein Werk zu erstellen, sondern ich wollte mir nur einmal die Nebenschauplätze ansehen. Am ersten Tag habe ich erst einmal bei allem was mir gefiel drauflos fotografiert. Dann am zweiten Tag bin ich überlegter herangegangen, was mich wirklich interessieren könnte und das war tatsächlich dieser Ausfluss- und Vergänglichkeitsmodus der Scheiße, des Blutes etc. Folglich habe ich mich nicht auf das ganze Schwein oder Kalb, sondern nur auf Fraktale, die Mägen, das Blut, Gedärme und Innereien, herumliegende Reste und Ähnliches – eigentlich eher Nebensächlichkeiten – konzentriert. Das habe ich 4, 5 Tage fotografiert, solange bis ich rausgeschmissen wurde.
Aber bis dahin hatte ich meine Arbeit erledigt und hätte dem auch kaum noch etwas hinzufügen können.
Diese Bilder haben dann bestimmt 4 oder 5 Jahre in der Schublade gelegen und ich habe immer wieder nachgedacht was ich daraus machen könnte, habe überlegt mit meinem Kopf zu arbeiten, aus verschiedenen Perspektiven oder völlig weggeschminkt. Irgendwann habe ich mit Kombinationen von Stühlen und Körperausschnitten experimentiert, wobei ich schließlich geblieben bin und so ist letztlich diese Arbeit in Gang gekommen. Aber sie ist noch nicht abgeschlossen. Es kann sein, dass noch weitere Teile entstehen. Für die Ausstellung [Jürgen Klauke. Ästhetische Paranoia im ZKM | Museum für Neue Kunst, 13.05. – 03.10.2010], sind jedoch diese 12 Tableaus in Form einer großen Wand erstmals zu sehen.
AB: Betrachtet man dein ganzes Werk, so taucht neben dem Thema der eigenen Person immer wieder auch der Tod als allgemeines Thema auf. Beispielsweise die tot aussehenden Stoffpuppen in Boddys, die Selbstmordszenen in Die Lust zu leben oder der Schafskopf in Die Ästhetik des Verschwindens. Was ist für dich die besondere Faszination am Thema Tod?
JK: Es gibt ja auch eine kleine Werkgruppe, die sich explizit mit dem Tod beschäftigt: Auf leisen Sohlen. Ich denke es ist ganz normal, dass bei einer gewissen Bandbreite der Arbeit, die sich im Fokus mit unserer Existenz beschäftigt, auch mit Tod als Thema Eingang findet. Es gibt vielleicht 4 oder 5 große Themen, die mich immer wieder interessieren und ich versuche für diese Grundthemen, diesen Grundgesang, immer wieder neue Bildmomente zu finden und genau das ist ja die hohe Kunst. Aus diesem Grund mache ich auch immer wieder Pausen, mache etwas anderes, zeichne, z.B. zurzeit zu den Aphorismen des französischen Philosophen zu Emile M. Cioran.
Zum Zeitpunkt der Serie Auf leisen Sohlen war ich in Indien und dachte, hier würde ich besonders fündig. Ich saß dann am Ganges und wohnte den Bestattungsritualen bei, fand das auch sehr schön, jedoch habe ich kein einziges Foto gemacht, weil mich das in dieser Form nicht interessiert hat, der Realismus und die Exotik. Mein Interesse liegt in der Umsetzung und wie ich Bilder finde, die nicht den Tod per se thematisieren, sondern auch das Leben ansprechen.
AB: Die Schlachtfelder können folglich als logische und auch radikale Fortsetzung eines der Grundmotive deines Werkes gesehen werden.
JK: Ja, das würde ich schon sagen. Es stellt sich anders dar, aber in dem Moment, in dem ich inszenierte Fotos von mir mitarbeiten lasse, wie die verlassenen Stühle oder meinen Körper, den ich ja fraktal ins Spiel bringe, würde ich das nicht als radikal bezeichnen.
Was im ersten Moment befremdlich sein könnte sind die Stofflichkeiten, die ich im Schlachthaus gefunden und fotografiert habe. Was das angeht, sind die Boddys, die du erwähnt hast in gewisser Weise ja schon fast stellvertretend für so etwas, nur eben mit anderen Materialien.
AB: Bei den Schlachtfeldern, die in abwechselnder Reihenfolge Bilder von dir selbst oder von leeren Stühlen zeigen, sind die Schlachtstücke teils konkret zu erkennen, teils eher abstrakt, manchmal sogar auch von einer gewissen Ästhetik, vielleicht sogar Schönheit. Wann kam es zur konkreten Entscheidung wie und welche der Bilder verwendet wurden?
JK: Die Auswahl folgte dem, was mich von Anfang an am meisten interessiert hat. Dazu gehört auch die Gruppe der Mägen, die ich jetzt verwendet habe, die ich Köpfe oder Leiber nenne. Die habe ich ausgesucht, da sie möglichst in die Nähe von solchen Bildern kommen wie von Aufbahrungen, die im Anschnitt zu sehen sind – ich habe sie so fotografiert, dass sie so scheinen. Durch einige der Schnitte sieht man wirklich die Scheiße, das ist natürlich fantastisch, das kann ich selbst gar nicht besser machen. Das habe ich so vorgefunden und das ist es. Da gibt es nichts mehr zu sagen. Was es zu sagen gäbe, ist die Frage was ästhetisch ist. Für mich sind die Schlachthausbilder hochästhetisch, für andere sind sie unerträglich. Die Frage ist, was wir ästhetisch oder schön finden. Die Schönheit des Schrecklichen ist ja auch ein nicht unbekannter Begriff.
AB: Der Schönheitsbegriff wurde ja seit Beginn der Moderne einem radikalen Wandel unterzogen, wobei auch diesbezüglich die Vergänglichkeit des Schönen, der Vanitas-Gedanke, eine Rolle spielt. Könnte man sagen, dass die Schlachtfelder auch eine Form eines zeitgenössischen memento mori sind?
JK: Ja, das würde ich schon sagen. Ich habe ja auch die Stühle eingesetzt, die doch eine sehr präsente Abwesenheit zum Ausdruck bringen. Auf der anderen Seite hat man dieses vergängliche Bild aus dem Schlachthof. Das ist schon bewusst gemacht, auf ein Werk hin gearbeitet, das ich Schlachtfelder nenne, weil ich mit Blut und Scheiße und allem möglichen dort agiere, und das steht sicher für Einiges, auch für dieses memento mori.
AB: Der Tod und das Sterben sind ja heute aus der Öffentlichkeit nahezu verschwunden. Früher sind die Menschen meist zuhause im Kreis der Familie oder der Nachbarn gestorben, heute geschieht das größtenteils in Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Mit dem Schlachten verhält es sich im Prinzip ähnlich. Wurde früher auf dem Bauernhof oder auf dem Dorfplatz geschlachtet, so wird das heute in industriellem Maßstab fern ab von jeglicher Öffentlichkeit gemacht. Letztendlich erhält man als Verbraucher sein Fleisch in abstrakter Form, von den teils qualvollen Methoden von der Aufzucht bis hin zur Schlachtung bekommt man nichts mit.
Du hast einmal in einem Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks gesagt “Ich denke und inszeniere das Unsichtbare”. Natürlich stand das in einem anderen Kontext, aber letztendlich trifft das für diese neue Serie auch zu. Kann man die Serie der Schlachtfelder darüber hinaus in gewisser Weise auch als politische Aussage im weitesten Sinne zu ignorantem Konsumverhalten der Massen und dem Leiden der Kreatur verstehen?
JK: Wenn ich ehrlich bin, habe ich darüber nicht nachgedacht. Mir ging es schon konkret um die Dinge, die wir bereits angesprochen haben. Wobei alles das, was du sagst stimmt, aber das war nicht der Ausgangspunkt für mich.
Interessant wäre noch zu erwähnen, dass ich generell mehr die Vorstellung als Welt inszeniere und fotografiere. In den Schlachtfeldern ist einer der wenigen Momente gegeben, in dem etwas Reales auftaucht. Ich arbeite aber nicht im Sinn solcher Fotografen, die die Welt da draußen ablichten. Meine Arbeiten folgen eher einer inneren Vorstellung, in der ich mir eine Welt baue und was auch sogar letztlich hier über die Art der Bildinszenierung eine Rolle spielt. Wenn ich vom Unsichtbaren sprach, gehe ich davon aus, dass ein anderer meine Bilder im Sucher nicht findet.
AB: Wobei ja trotzdem das Unsichtbare hier eine gewisse Rolle spielt, denn es werden zum einen Vorgänge gezeigt, die der Öffentlichkeit in der Regel vorenthalten werden, zum anderen weil auch die Organe oder Innereien in dieser Form normalerweise nicht sichtbar sind. Insofern handelt es sich um eine doppelte Sichtbarmachung von Unsichtbarkeit auf materieller Ebene.
JK: Ja. Wie bei den Durchleuchtungsfotos von Prosecuritas, bei denen ich das Innenleben nach vorne hole, hole ich hier auch etwas aus den Rindern heraus.
AB: Ein anderer interessanter Aspekt ist auch der Titel der Schlachtfelder, der eine gewisse Doppeldeutigkeit beinhaltet, weil er auf den Vorgang des Schlachtens, oder besser des Abschlachtens verweist, aber genauso den Kriegschauplatz meint.
JK: Ich arbeite gerne mit Wörtern oder Titeln, und hier schien mir das der einzig wahre Titel für das Tableau zu sein. Jetzt liegt es am Betrachter, wie er mit der Arbeit zurechtkommt und was er sich dazu denkt. In dem Moment, in dem ich mit Blut und solchen Fragmenten arbeite, finde ich “Schlachtfeld” einen sehr umfassenden Begriff, der über Tod und weitere Wahrnehmungsfelder spricht.
AB: Ursprünglich, als wir über die grobe Planung der Ausstellung gesprochen hatten, hattest du daran gedacht, die Schlachtfelder in einem engen oder sogar spitz zulaufenden Korridor zu präsentieren, so dass eine fast klaustrophobische Situation entsteht.
JK: Ja, daran hatte ich gearbeitet, jedoch habe ich in den Räumen in denen wir jetzt ausstellen keinen Weg gefunden, das so zu realisieren. Und wenn ich eine gefunden hätte, dann hätte die Arbeit mindestens doppelt so groß sein müssen, damit sie meinen Vorstellungen entsprochen hätte. Das werde ich vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt einmal machen.
AB: Der surrealistische Schriftsteller Georges Bataille beklagte 1929 in der Zeitschrift Documents das Ausblenden von Todeserfahrungen und das Verdrängen des Todes schlechthin. Er schrieb in seinem Artikel “Abattoir”:
“Das Schlachthaus gehört in dem Sinn zur Religion wie in der vergangenen Zeit die Tempel. Sie hatten einen doppelten Zweck, sie dienten gleichzeitig zum Anbeten und zum abschlachten. In unseren Tagen ist das Schlachthaus verflucht und wird in Quarantäne gehalten wie ein Schiff mit Cholera an Bord. Nun sind aber die Opfer dieses Fluches weder die Schlachter noch die Tiere, sondern die braven Leute, die an einem Punkt angekommen sind, an dem sie nur ihre eigene Hässlichkeit mehr ertragen können.”
Man kann das nun so verstehen, dass die Menschen sich von diesem essentiellen Teil des Lebens, dem Tod entfernt haben, ihn ausgrenzen aus dem Leben, dass sie also auch letztendlich diese Grausamkeit nicht ertragen können. Siehst du das auch so?
JK: Für mich als ein 1943 Geborener nach den großen Massakern der Menschheit und den immer noch anhaltenden Massakern sowie dem, was wir täglich sehen wenn wir wollen, ist das natürlich ein geringerer Schrecken. Hier stellt sich natürlich erneut die Frage, wieweit Menschen eine Abscheu vor etwas haben, aber auch wie man mit Schönheit oder Ästhetisierung umgeht.
AB: Ist der Ekel, der ja auch einen gewissen Voyeurismus bedient in deinem Werk bewusst miteinbezogen worden? Denn es handelt sich in den Schlachtfeldern eindeutig um Dinge, die die wenigsten Menschen schon einmal gesehen haben. Hier greift dieses Zusammenspiel von Abscheu und Anziehung.
JK: Ich glaube nicht, nein. Also, ich komme als Kind vom Lande und habe die Hausschlachtungen erlebt, wenn das Schwein an der Leiter hing und wir als Kinder abends Blutsuppe bekamen. Das war jedes Mal ein Fest. Davon haben wir uns heute natürlich entfernt; den meisten dürfte das unbekannt sein. Auf die Kunst bezogen haben wir schon Blut und Gedärm gesehen, wenn man den Wiener Aktionismus nimmt. Aber ich bearbeite das völlig anders, und nicht mit dieser Schocktherapie, mit der damals die Aktionisten gearbeitet haben.
AB: Bei dem Fokussieren auf ein Detail, was zugleich einem Abstraktionsprozess gleichkommt, handelt es sich eindeutig auch um einen Ästhetisierungsprozess.
JK: Ja, aber das Fokussieren auf ein Detail wurde von mir vorgenommen, nicht um den Schrecken zu verharmlosen, sondern um die Schönheit des Schrecklichen ins Bild zu transportieren. Auch Francis Bacon, der sich viel mit dieser Art von Bildmotiven beschäftigte, hat mit der Ästhetisierung gearbeitet.
Man kann aber auch an Karl-Heinz Stockhausen denken, der bei aller Grausamkeit die Ästhetik der medial weltweit übermittelten Bilder der brennenden Türme des World Trade Centers in New York thematisierte und dafür sehr viel Kritik bekam.
AB: Zum Schluss noch eine Frage zur Farbe: Dein Werk ist ja eigentlich eher von Schwarz-Weiß-Fotografien geprägt. Bei den Schlachtfeldern verwendest du seit vielen Jahren erstmals wieder Farbfotografien. Warum?
JK: Die Farbfotografie wird von mir nach ihrem Nutzen, ihrer Wirkung eingesetzt, wie z. B. in den 1970er-Jahren bei den Transformer-Zyklen oder Dr. Müllers Sex Shop. Diese Thematiken benötigen die Farbe. Auch bei dem Desaströsen Ich oder z.B. den Entscheidungsnotständen, bei denen ich die menschlichen Körper nur noch auf ihr Fleisch reduziere, spielt der monochrome Rötelton eine entscheidende Rolle. Im Gegensatz zu meinen Schwarz-Weiß-Bildern oder den monochrom-farbigen, benötige ich bei den Schlachtfeldern den Naturalismus, den Farbton des Blutes und der Innereien. Er entspricht dem Temperament, das die große Arbeit antreibt.
Links:
www.juergenklauke.de
Jürgen Klauke. Ästhetische Paranoia
ZKM | Museum für Neue Kunst, 13.05. – 03.10.2010